Ehrliches Marketing? Das gibt's?

Ehrliches Marketing? Ethik? Was?

Ja, Baby! Ich taufe dich auf den Namen meiner Brand!

Ich muss so lachen. Mein Gott, wie oft hab ich – besonders ich, weil meine Hautprofession Theologe ist/war (es ist kompliziert) – da schon gelacht. Als ich voll ins Marketing eingestiegen bin, war von Verwandten die erste Frage, wie ich das mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Gute Frage oder blöde Frage? 

Wohlan denn! Rollen wir das Ganze über Begriffe auf und nehmen wir mal einen, den sich Theologie und Marketing teilen und auf den ich deshalb das Anrecht der qualifizerten Meinung habe: Konvertierung.

Konvertiere, Baby!

Damit kenn sich der Marketing-Theologe aus. Im Prinzip kommt dasselbe bei raus. Regt euch nicht gleich auf, macht euch ehrlich liebe Kollegen und Kolleginnen.

Also, ein Missionar möchte andere zu einem Glauben bekehren (lat. convertere) und ein Verkäufer andere zu seinem Produkt. Bei interessiert ihre Conversion-Rate und beide werden von ihren Chefs besonders toll gefunden, je höher diese ist. 

Konvertiere zu meinem Glauben oder zu meinem Produkt. Dasselbe in Grün. Jedes dritte Wort im Online-Marketing ist „Conversion“. Conversion-Tracking, Conversion-Optimierung, Conversion-Cost etc. bla-bla. 

Da gähnt die Königin der Wissenschaft nur müde, die das seit locker 2000 Jahren in petto hat. Aber erzähl das mal in nem Marketing-Seminar… andere Geschichte.

Glaub mir, Kind – ich mein’s nur gut mit dir

Jedenfalls lässt sie mich nicht los, die Frage nach der Ethik im Marketing. Und dabei ist sie eigentlich leicht beantwortet: Verkaufe ich Müll und stelle ihn als ganz toll dar und kaschiere eventuell schlechte Qualität und Leistung mit Hilfe von mit weichen und erzählten, neuronal  und emotional wirkenden Geschichten? 

Natürlich tun wir das. Nur wenige Nerds kaufen etwas aufgrund der reinen Produkteigenschaften. Die größten Marketing-Helden waren clever genug, zu begreifen, dass es beides beinhaltet: Wahrheit und Fakten und ein fettes fluffiges Paket Drumherum.

Fact-Check: Diskutiert mal mit Apple-Jüngern über Sinn und Unsinn von iMacs und iPhones, wenn ihr etwas technischen Sachverstand habt. Es zeigt sich eine fast ideologisierte Marketing-Ideologie-Bubble. Sie platzt genauso wie eine Bubble ideologisch-religiöser Eiferer, wenn man sie nur ein bisschen mit Fakten pikst. Die Reaktionen sind ähnlich irrational. (Ratet, welche Peripehrie ich nutze.) 

Steve Jobs wusste – aus religionswissenschaftlicher Perspektive – haargenau, was er tat und wie: leider genial! Er schuf nicht nur ein Produkt, sondern auch eine Ideologie. 

Vielen guten Marketingkampagnen der ist das zueigen, aber nur wenige haben das so bewusst und programmatisch gemacht. Die Verklärung von Jobs zum obersten Marken-Ideologen kommt nicht von ungefähr. Man könnte hier jetzt kulturphilosophisch werden und Jobs Rolle im Tech-Milieu als Gallionsfigur usw. besprechen, das führt aber zu weit. Es gibt Apple-User und es gibt Apple-Jünger!

Marketing schwingt immer in den Bereich der kulturell-ideologischen Transformation mit über, wenn es Produkte betrifft, die gesellschaftlich richtig abrocken; und so ward das iPhone eine Revolution, auch kulturell entlang der Digitalisierung und des Internet.

Aber, um mal in die nicht-akademische Welt und die Relevanz zurückzukommen: Wie bringt man nun andere Menschen dazu, die eigenen Produkte zu kaufen, ohne ein propagandistischer Manipulator zu werden?

Steinzeit Win-Win

Machen wir das mal einfach:

Hilf mein Produkt faktisch weiter? JA/NEIN

Wenn JA: Geil! Wow! Super. Eine Hilfe. Ich brauche keinen Quatsch erzählen, das Produkt hat einen Sinn. Jetzt ist die Frage nicht das WAS, sondern das WIE. 

Dafür ist Marketing da. 

Ich sehe da immer zwei Steinzeitmenschen. Beide heißen „Win“.  Der eine bringt einen verlässlichen Feuerstein, der andere Lederschuhe.

Win sagt: „Du gucke, ich habe geile Schuhe! Du haben, wenn ich kriegen dein Feuerstein.“

Der andere Win: „Geil! Wir machen!“

Daher kommt Win-Win. Und Win-Win zu entwickeln und zu kommunizieren, das ist für mich Marketing.

Das heißt, es bleibt bei einer handfesten, ehrlichen Transaktion von Wins.

Test: Bist du ein Marketing-Betrüger oder ein Engel?

Hilft mein Produkt faktisch weiter JA/NEIN

Wenn Nein: Aber ich muss verkaufen. Dann entscheide ich mich dafür, über Lügen, Halbwahrheiten, Intransparenz und bösen Neuromarketing-Tricks dazu, Menschen zu meinem Produkt zu motivieren, bis die Bubble bei den Google Reviews oder in der Presse irgendwann platzt.

Der Steinzeitmensch, der Müll verkauft hat, wurde gefunden und verkloppt: dasselbe wie Google Reviews heute.

Quatsch verkaufen? Why not!

Ethische korrekte Menschen wissen sehr schnell, ob sie Quatsch mit Soße vermarkten sollen oder nicht.

Ich möchte z.B. nicht für Rüstungsfirmen arbeiten. Punkt.

Ich frag mich eh, woher die ihre Mitarbeiter kriegen. Meine Skills setze ich nicht dafür ein, dass Waffen damit verkauft werden, mit denen Menschen in Einzelteile zerfetzt werden. Aber, Moment! 

Wenn es um die Verteidigung von Minderheiten geht? Um Schutz? Ist es dann nicht wieder „gut“? Ihr merkt. Alles – wie üblich bei philosophischen Themen – nicht so einfach. Viele Grautöne.

Unabhängig von Waffen: ich habe keine Lust, meine Skills dafür einzusetzen, dass ein großer Konzern noch mehr Menschen Handys verkauft, die sie eigentlich nicht brauchen oder ein Fahrzeugbauer Autos, die nach 15 Jahren im Eimer sind, obwohl er Autos bauen könnte, die 50 Jahre halten. 

Das kann ich aber nur sagen, wenn ich in einer erhobenen Position bin; es mir aussuchen kann. Am Ende ist das sehr subjektiv. Natürlich ist es gedanklich von Rheinmetall zur Telekom ein weiter Weg und ein noch weiterer zur Arbeiterwohlfahrt; und auf diesem Weg sind viele Kreuzungen.

Hast du Prinzipien? Wenn ja, wo sind die Grenzen?

Jetzt der Philosoph in mir: Hätte ich Not, meine Kinder nichts zu futtern: Was würde ich dann alles verkaufen? Dann wäre die Situation und Bewertung eine andere. Jeder ist sich selbst der nächste. 

Ethik im Marketing, for real?

Also: Marketing und Ethik, geht das? Ja klar! Und ich persönlich glaube auch, dass Menschen immer sensibler dafür werden.

Wenn ich aber irgendein Produkt verkaufe, dass nur zur Profitmaximierung irgendeines Konzerns und meines Bankkontos dient: Dann bin ich auf anderer Eben bankrott, das muss mir klar sein. 

Also: Liebe Hardcore-Marketer, lasset uns nutzen unsere Skills, um die Welt besser zu machen und nicht nur dem schnöden Mammon  und Conversion-Rates hinterherzujagen.

Wobei das eine das andere nicht ausschließt: Woher das Geld kommt und wohin es geht, ist dabei das Entscheidende. Dafür braucht es eine Ethik. 

Hast du eine?

* im Ernst, ich halte 2 Masterabschlüsse in Theologie und Religionswissenschaft und damals hieß es: Dr.-Titel oder Frau. Guess what…