In dem Moment, in dem ich spreche, gelangt etwas aus meinem Inneren nach außen. Das hat irgendwo was von Aliens, aber auch von Menschlichkeit. Erschreckend, entwaffnend und entblößend ist es trotzdem.
Meistens wird es von irgendjemandem wahrgenommen und dieser jemand reagiert dann darauf.
Ich habe mir Ausdruck verschafft.
Unsere Sprache spricht ja auch davon, ob wir uns nicht mal richtig ausdrücken können.
Wie oft passiert es, dass man nach dem „Ausdrücken“ nicht unbedingt das Gefühl hat, auch den richtigen „Eindruck“ beim anderen hinterlassen zu haben?
Faktisch: Ich drückte – aus meiner Perspektive – Information X aus. Diese machte sich auf den Weg und wurde vom Gegenüber empfangen. Aber das Gegenüber reagiert nicht so auf meine Information X, wie ich es erwarten würde. Denn faktisch erreicht nicht Information X das Gegenüber, sondern Information Y oder Information Holladrio oder Smarties oder sonst was.
Es liegt irgendeine Veränderung zwischen mir, dem Sender und ihr/ihm, dem Empfänger oder der Empfängerin, vor: El Classico: das Missverständnis.
Denn zwischen einer gegebenen und einer empfangenen Information liegen viele mögliche Veränderungen für das Verstehen.
Zum Beispiel die eigene Persönlichkeit, die dazu führt, dass ein für mich vielleicht positiv besetztes Thema für jemand anders völlig andere Emotionen auslöst, wenn es dort negativ besetzt ist. Zum Beispiel Themenkomplexe wie Vaterschaft und Familie rufen Missverstehen regelmäßig hervor.
Kinder aus unglücklichen Familiengeschichten haben bei Begriffen wie Familie und Vater gewöhnlich eine andere emotionale Reaktion als Kinder, die ohne Irritationen zwischen den Eltern aufgewachsen sind.
Wenn man zum Beispiel ein trennungstraumatisierter Mensch ist, kann man da objektiv Informationen zu diesen Themen verarbeiten?
So etwas wie Objektivität gibt es so oder so nicht, sagen manche Philosophen. Uff, steile These. Aber schon lange keine neue.
Die Kommunikationswissenschaft und Psychologie kennen das Phänomen, dass es in der Kommunikation zwischen Menschen zu Missverständnissen kommt, ja nun auch schon länger. Wir kennen das alle. Es passiert uns ja ständig. Da brauchen wir keine wissenschaftlichen Beweise für.
Es gibt faktische Wahrheiten wie 1 + 1 = 2.
Aber auch das kann subjektiv anders sein. Es wäre tatsächlich möglich, dass ein Mensch, der vielleicht durch eine Erkrankung beeinflusst ist, nicht nachvollziehen und annehmen kann, dass 1 + 1 immer 2 ergibt.
Meine Kinder sind teilweise farbenblind. So fragten sie mich neulich, ob das Rot, das ich sehe, dasselbe Rot ist, welches sie sehen. Vielleicht sähe ja für jeden Menschen Rot anders aus? Aber weil wir alle mit Definitionen aufwachsen, denken alle, Rot sei Rot. Und, schon lost? Genau so gehen Missverständnisse: schneller als man denkt.
Wahrnehmung ist genauso wenig objektive Wahrheit wie irgendwelche Äußerungen, die wir tätigen können. Wir alle tragen mit unseren Prägungen, Persönlichkeiten und physiologischen Eigenheiten eine Brille, die dafür sorgt, dass wir eine ganz eigene Interpretation bzw. Wahrnehmung der Wirklichkeit (oder was wir dafür halten) haben.
Die Welt ist nicht wie sie ist, sie ist wie wir sind.
Wir sind Menschen, keine Maschinen. Fast immer stecken hinter Dingen, die wir sagen, Motive und Absichten verborgen, die aus den Tiefen unserer Seelen hervorbrechen. Mal, um uns zu schützen, mal um uns in bestimmten Vorstellungen darzustellen, um damit unsere Ziele zu erreichen oder anerkannt zu werden. Das ist enorm spannend.
Denn jeder von uns kennt wohl das Gefühl wie es ist, wenn man so richtig ankommt, verstanden ist, dazugehört und angesehen wird. Wir fühlen uns stark, gut, schweben auf Wolken – sind wer. Unser Hirn schüttet Glückshormone aus, wenn wir uns – so wie wir sind – gesehen, geliebt und gewollt fühlen.
Neben diesen psychologischen Faktoren spielen auch noch kulturelle und physiologische eine Rolle. Die Farbenblindheit habe ich eben erwähnt. Und auch wenn das ein extremes Beispiel ist, so ist es mir auch schon einmal passiert, dass ich hundemüde eine sachlich gemeinte Aufforderung oder Kritik total persönlich genommen habe und sich meine Frau oder Kollegen gewundert haben, warum ich ausziehen wollte, um die Welt im Bastrock zu erobern. Oder ich habe etwas schlichtweg überhört und darauf hin eine ungerechte Reaktion gezeigt: fragt mal meine Kinder, passiert mir. Ist scheiße.
Kulturell kann bedeuten, dass bestimmte Begriffe und Bilder, z. B. in einem deutschen Kopf etwas anderes auslösen als in einem indischen, nigerianischen oder australischen. Die Kulturanthropologie hält eine Fülle solcher Beispiele bereit. Was uns verstört, muss jemanden aus einer anderen Kultur ja noch lange nicht verstören und umgekehrt. Stereotypen bilden unsere Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung, und Vorurteile. Die sind immer Mist.
Und bei diesem Gedanken lässt sich das Thema der Achtung anbringen.
Viele – vielleicht sogar so gut wie alle – Probleme, Missverständnisse und Konflikte lassen sich vermeiden, wenn man lernt, dass Kommunikation eben immer mit Störgeräuschen und Fehlern behaftet ist.
Wer buchstäblich darauf „achtet“, hat es einfacher. Zum einen, sich selbst so zu äußern, dass er oder sie verstanden wird und zum anderen so zuzuhören, dass man Gesprächspartnern die Möglichkeit einräumt, möglichst verstanden und damit „geachtet“ zu werden.
Was liegt nun aber dazwischen? Was verursacht das Verstehen oder Falschverstehen? Es ist die Interpretation. Und Interpretation kann man bewusst machen und lernen.
Das Werkzeug dazu nennt man „Hermeneutik“. Das ist letztlich eine philosophische „Kunst“, die meist in den Geisteswissenschaften bekannt ist.
Hermeneutik ist die bewusste Anwendung von bestimmten Prinzipien, um die Kommunikation eines anderen sozusagen zu entschlüsseln. Sie ist auf alles anwendbar. Auf Kunst von Picasso, auf Texte von Shakespeare und auf das, was mir eben jemand von sich erzählte. Sie ist Teil von Dekonstruktion und Verständnisprozessen.
Wer sich also die Mühe macht, diese Brücken zu der eigentlichen Bedeutung einer Information – also den tiefer liegenden Absichten und Motiven eines Kommunizierenden – zu schlagen, kann die ganze Macht der Interpretation und Kommunikation entfalten lernen.
Erste Erkenntnis muss bleiben, dass Kommunikation immer da ist und dass wir sie meistens nicht bewusst erleben. Darin liegt ein großer Verlust und meistens viel Potenzial verschüttet, um besser verstanden zu werden und die eigenen Ziele zu erreichen.
Wenn du Lust hast, besser zu kommunizieren. Meld dich gern.